Andacht 28.04.2024

28. April 2024 | Andachten

 


Predigt vom 28.04.2024


Ein Lobgesang geht durch alle Zeiten – Predigt zu Offenbarung 15,2-4;

Sonntag Kantate, 28.04.2024

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Amen.

Liebe Gemeinde,

(a) konnten Sie heute morgen schon gut mitsingen? Oder sind Sie heute etwas heiser und

kriegen kaum einen Ton raus? Wenn die Stimme weg ist, merkt man schnell, wie sich auch in

der Unterhaltung die Rolle vom Mitredner zum Nur-Zuhörer wandelt. Unsere Stimme ist ein

wichtiges Element unserer Ausdrucksfähigkeit.

In unserem Mund, genauer gesagt im Nasen-, Rachen- und Mundbereich, wird auf komplexe

Weise der Schall erzeugt. Unser Gehirn versieht den Ton mit Buchstaben und Worten – so

können wir reden, oder eben auch singen. Meistens scheint es für uns selbstverständlich zu

sein – bis uns die Heiserkeit erwischt, und der Pastor keine zehn Sätze rausbringt, ohne

einen Hustenanfall zu riskieren.

Um die wunderbare Fähigkeit, Töne zu erzeugen, zu feiern, wird jährlich der World Voice

Day begangen. Dieser internationale Tag der Stimme hat seinen festen Platz im Kalender,

immer am 16. April, also gar nicht so weit entfernt von unserem Sonntag Kantate. Dieser

Aktionstag wird seit seiner Gründung 1999 jedes Jahr weltweit mit Konzerten und anderen

Veranstaltungen gestaltet. Jedes Jahr gibt es dafür ein besonderes Motto. Für 2024 hatten

die Initiatoren die Überschrift „Resonate. Educate. Celebrate“ gewählt. Zu deutsch etwa:

„Nachhallen. Ausbilden. Feiern“.

(b) Wenn es um Ton, Stimme und Feiern geht, dann wissen wir Christen ganz gut, wie das

umgesetzt werden kann: im Singen, in den zahlreichen Liedern über Gott und seine

Wundertaten. Und das umspannt die gesamte Erde und alle Zeit. So, wie es in einem

Abendlied heißt: „ … und immer wird ein Mund sich üben, der Dank für deine Taten

spricht.“1

Angefangen hat die Sache mit der Stimme schon bei den ersten Zeilen der Bibel. Denn bevor

Gott die wichtigen Worte „Es werde Licht“ sprechen konnte, musste er überhaupt erstmal

einen Ton rausbringen.

In der Bibel finden sich dann immer wieder Lieder, die Gottes Wundertaten besingen und

verkünden.

Das erste Mal, dass in der Bibel vom Singen die Rede ist, ist im 2. Mosebuch, in Kapitel 15. Es

ist das Lied, das Mose und seine Schwester Mirjam mit den Israeliten sangen. Sie waren aus

der Sklaverei in Ägypten geflohen; sie wurden von der Streitmacht des Pharao verfolgt und

wären beinahe umgekommen. Doch Gott teilte das Schilfmeer direkt vor ihren Füßen, so

dass die Israeliten das Meer durchzogen und sich in Sicherheit brachten. „Lasst uns dem

HERRN singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt“, so sang

Mirjam. (Jetzt wissen Sie auch, was mit den Ägyptern passierte.)

1 Gerhard Valentin, aus: Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen, Ev. Gesangbuch 266.2

(c) Das letzte Lied in der Bibel, von dem es ausdrücklich heißt, dass es gesungen wird, ist

unser heutiger Predigttext. Er steht in der Offenbarung, Kapitel 15, in den Versen 2 bis 4.

Der Seher Johannes berichtet:

2 Ich sah vor mir etwas, das wie ein mit Feuer vermischtes Kristallmeer aussah. An

seinem Ufer standen alle Menschen, die über das Tier und sein Standbild und die Zahl

seines Namens gesiegt hatten. Alle hatten von Gott Harfen bekommen, 3 und sie sangen

das Lied Moses, des Dieners Gottes, und das Lied des Lammes:

»Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr, Gott, Allmächtiger. Gerecht und wahrhaftig

sind deine Wege, König der Völker. 4 Wer sollte dich nicht fürchten, Herr, und deinen

Namen verherrlichen? Denn du allein bist heilig. Alle Völker werden kommen und vor dir

anbeten, denn deine gerechten Taten sind offenbart worden.«“ (Neues Leben. Die Bibel)

Hier wird ein großer Bogen gespannt, vom ersten Lied in der Bibel hin zum letzten Gesang. In

beiden geht es um Befreiung und Erlösung. Das alte und das neue Gottesvolk sind

verbunden im Singen. Doch der Bogen wird auch über die gesamte Zeit gespannt.

Hier, in diesem Text, wirft der Seher Johannes einen Blick in die Endzeit. Also das, was der

Welt zukünftig noch bevorsteht. Johannes sieht die Plagen und das Gericht Gottes, die die

Erde überfallen werden. Und dann, kurz vor dem Ende, fast alles ist schon überstanden, hat

er diese Vision, von der wir gehört haben.

Bevor wir nun weiter den Tönen des Singens folgen, einige erklärende Bemerkungen zum

Predigttext.

Vermutlich ist es diesem Text zu verdanken, dass wir in unserer Vorstellung die Gleichung

„Himmel + Musik = Harfe“ aufmachen. Egal, wie erstrebenswert es uns erscheint, dermal

einst eine Harfe in die Hand gedrückt zu bekommen – ich bin mir zumindest sicher, die gibt

es auch ohne Engelskostüm und Wolke.

Ein Kristallmeer, das mit Feuer vermischt ist – bei dieser Vorstellung geht vermutlich jedem

Freund von Science-Fiction-Filmen das Herz auf. Jedenfalls bin ich schon gespannt, was der

Herr sich da ausgedacht hat. Im Bild des Johannes ist es die Himmelskuppel, aber eben nicht

von hier unten aus betrachtet, sondern von oben, von Gottes Seite aus. Das

Himmelsgewölbe sieht für Johannes von oben aus wie ein Meer aus Glas und Feuer.

Und dort oben, an seinem Rand, stehen die Menschen, die schon vor dem großen Finale bei

Gott im Himmel sind. Sie haben treu und standhaft zu Jesus Christus gehalten. Sie haben sich

der Religion ihrer Umwelt widersetzt.

Das Tier, von dem Johannes schreibt, ist ein irdischer Herrscher, der sich wie ein Gott

anbeten lässt, der wie ein Gott Standbilder von sich aufstellen lässt. Und der unbedingten

Gehorsam und Gefolgschaft fordert – bei Nichtbeachtung droht eine tödliche Bestrafung.

Die Menschen am Glasmeer sind diejenigen, die sich dem absolut verweigert haben. Sie

haben sich ihre christliche Identität bewahrt, ohne Kompromisse oder Zugeständnisse.

Deshalb sind sie diejenigen, die den letzten großen Lobgesang zu Gottes Ehren anstimmen

dürfen.

Vom ägyptischen Schilfmeer bis zum himmlischen Glasmeer –Lieder zu Gottes Ehre

umspannen die Erde und ihre Existenz.3

(d) Eine wichtige Zäsur in dieser Zeitspanne war das Jahr 1524. Im Zuge der Reformation

wurden die ersten Gesangbücher gedruckt. Anfangs waren das nur wenige Einzelblätter, die

zusammengeheftet wurden. Doch nach der Meinung von Martin Luther eigneten sich

einfache, deutschsprachige Lieder am allerbesten, um Inhalte des evangelischen Glaubens in

der Bevölkerung zu verbreiten. Denn gesungene Texte lassen sich leichter merken als

gesprochene. Daher dichtete er so viele geistliche Lieder auf Deutsch wie kein anderer vor

ihm. 1524 erschien dann in Wittenberg als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung das

„Geistliche Gesangsbüchlein“, mit 43 Lieder und einem Vorwort von Luther persönlich.

Seitdem ist Singen das „klingende Markenzeichen der evangelischen Kirche“2

.

Wer von Ihnen heute morgen schon Mathe mag, dem ist sicherlich aufgefallen: Dieses Jahr,

also 2024, feiert unser Evangelisches Gesangbuch sein 500jähriges Bestehen. Aus diesem

großen reformatorischen Schatz zehren wir immer noch. Und für uns heute ist das Singen im

Gottesdienst selbstverständlich geworden und nicht mehr verzichtbar.

(e) Doch Musik hat nicht nur pädagogische und memorierende Wirkung, wie es Martin

Luther betonte. Sondern Singen bewirkt noch viel mehr.

Vor nicht allzu langer Zeit las ich, wie jemand über ihre Erfahrung mit dem Singen schrieb.

Manchmal ist sie müde und mag sich gar nicht mehr aufraffen. Doch irgendwie quält sie sich

dann doch zur Chorprobe ihrer Kirchengemeinde. Im Laufe des Abends, Lied für Lied, merkt

sie, wie sie neue Kraft bekommt. Die Müdigkeit ist wie weggeblasen, Freude und

Beschwingtheit machen sich breit. Ton für Ton ersingt sie sich ihre Lebensfreude zurück. Sie

freut sich, mit anderen zusammen zu sein. Und ebenso spürt sie im Singen, wie Gott ihr nahe

kommt.

Dass Musik uns verändert, hat auch Herr Winkler, unser Vikar, erfahren. Letzte Woche hatte

ich ihn genau diese Frage gestellt. Seine Antwort darf ich Ihnen weitergeben: „Lange Jahre

habe ich mich von Musik nur berieseln lassen. Bis mir aufgefallen ist, dass Musik etwas mit

mir macht. Sie kann mich fröhlich machen, traurig, wütend oder gelassen. Besonders bei den

Liedern von Taizé spüre ich, dass Musik mich zu und für Gott hin öffnet, dass sie mich zu

einem besseren Menschen machen möchte.“

Wir sehen: Singen verändert uns. Im Singen spüren wir etwas von Gott und seiner Kraft.

(f) Doch nicht nur in christlichen Gemeinden hat man den Wert des Singens erkannt. Ich

denke da an die Fangesänge in Fußballstadien, zum Beispiel als Bayer Leverkusen vor zwei

Wochen erstmals in seiner Vereinsgeschichte deutscher Meister geworden ist. Bei Liedzeilen

wie „Leverkusen olé“ geht es wohl weniger um den Inhalt. Doch wenn 30.000 Menschen die

gleichen Zeilen singen, macht sich ein Gefühl von Zusammengehörigkeit breit. Man gehört

dazu. Und bei aller persönlicher Unterschiedlichkeit, verbindet einen diese eine

Gemeinsamkeit: die gleichen Worte und die gleiche Melodie.

Darüber hinaus kann Singen, ob allein oder in einer Gruppe, ein Freiraum sein. Beim

Singen kann man seine Gedanken und Gefühle ausdrücken, ohne sich verstellen zu

müssen. Gerade das schätzt der Sänger Isaak Guderian. Vielleicht hat ja der ein oder

2 Hans-Jürgen Wulf und Konja Voll in ihrem Brief „500 Jahre Evangelisches Gesangbuch“ vom 14.03.2024.4

andere von Ihnen ja den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest

verfolgt. Gewonnen hat der 28jährige Solosänger. Er ist freischaffender Sänger und

verdient sich mit Auftritten sein Geld. Doch Musik ist für ihn noch mehr. Er sagt:

„Musik ist der einzige Zufluchtsort, bei dem ich so sein kann wie ich bin. Hier ist alles

erlaubt. Keine Schubladen, kein System, keine Ordnung. Pure Emotionen, ein

Spielplatz, der nicht nur für Kinder ist. Und jeder kann es verstehen – ob es in seiner

Sprache ist oder nicht.“3

(g) Singen hat viele Dimensionen. Es beginnt mit einem ersten Ton. Es umspannt die

gesamte Bibel und ebenso die Zeit, vom Anfang bis zum Ende in Gottes Ewigkeit. Im Singen

spürt man Gottes Nähe, man gewinnt Kraft und Lebensfreude. Singen hilft, um sich Dinge

einzuprägen. Daneben kann man im Singen seinen Gedanken und Gefühle ungekünstelt

ausdrücken und darstellen.

Der Seher Johannes in seiner Vision sieht einen Chor von Christen im Himmel. Da ist es nicht

der einzelne Sänger, sondern da singen alle miteinander. Noch ist das Zukunftsmusik, was er

sieht. Auch das, was der Chor dort singt: dass jeder Gott anbetet und nicht irgendeinen

Abgott, dass Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden ist und sich auf Erden durchgesetzt

hat. Für uns heute ist das ebenso noch Zukunftsmusik wie für Johannes.

Doch ein Loblied für Gott singen – darin können und sollen wir uns schon hier und jetzt

üben. Wir haben zahlreiche Lieder. Wir schöpfen aus Chorälen und neuen geistlichen

Liedern. Für jeden ist (hoffentlich) etwas dabei. Und so halten wir das Singen wach und üben

uns darin, um einst im Himmel Gott auch im Singen zu loben. Wir tun unserer Seele damit

etwas Gutes. Und gleichzeitig stimmen wir ein in den immerwährenden Lobpreis Gottes, der

die Welt umspannt: „Denn unermüdlich, wie der Schimmer des Morgens um die Erde geht,

ist immer ein Gebet und immer ein Loblied wach, das vor dir steht.“4

Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und

Sinne in Christus Jesus.

Amen.

3 Isaak Guderian, zitiert nach www.eurovision.de/teilnehmer; 18.04.2024.

4 Gerhard Valentin, aus: Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen, Ev. Gesangbuch 266.

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