Predigtreihe „Die Zukunft der Kirche“
Wachstum – Predigt 4 – Apg 2,41 & Apg 8,26ff
23. Juni 2024- P. Dr. Michael Giebel
Bibeltext
41Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. 42Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. … 47 Sie lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. (Ap 2,41.42.47)
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26Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. 27Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. 28Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 29Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! 30Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? 31Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
35Philippus aber tat seinen Mund auf … und predigte ihm das Evangelium von Jesus.36-37Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? 38Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. 39Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. (Apg 8,26-31.35-39)
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen
a) Seit einer halben Stunde steht sie jetzt schon in der Schlange. Sie will sich taufen lassen. Doch heute ist sie nicht allein. Da sind noch ein paar tausend andere. Einer nach dem anderen steigt ins Wasserbecken und wird untergetaucht. Was für ein Ereignis. Doch es muss heute sein. Sie fühlt es in ihrem Herzen. Gott ist ihr ganz nahegekommen. Und sie will dazugehören zu den Freundinnen und Freunden von Jesus.
Szenenwechsel.
Ein weiter Weg liegt hinter ihm. Tausende von Kilometern ist er unterwegs gewesen. Er wollte Gott finden und anbeten. Dafür hat er sich auf den Weg gemacht. Seine Suche war erfolgreich. Er war in Jerusalem. Das war beeindruckend. Doch er hat noch viele Fragen. Und dann begegnet ihm Philippus, ein Jünger von Jesus. Da geht ihm das Herz auf. Kurz entschlossen lässt er sich taufen. In einem Weiher am Rande der Straße mitten in der Einöde. Das ist das Beste, der Höhepunkt seiner Reise. Fröhlich fährt er nun weiter nach Hause.
Liebe Gemeinde,
b) zwei unterschiedliche Szenen. Beide erzählen davon, wie Gottes Reich wächst. Beide finden sich in der Apostelgeschichte.
Die erste Szene spielt an Pfingsten in Jerusalem. Die Predigt des Petrus hat eine enorme Wirkung. Viele Pilger sind in der Stadt. Und 3.000 Leute lassen sich taufen.
Die zweite Szene spielt irgendwo an einer Landstraße. Ein Pilger aus dem fernen Äthiopien ist auf dem Heimweg. Er ist auf der Suche nach Gott. In der persönlichen Begegnung und im Gespräch mit Philippus findet er antworten auf seine Fragen. Und er beginnt an Jesus Christus zu glauben. Darum lässt er sich taufen.
Ich nehme beide Szenen heute einmal als Beispiele dafür, wie Gottes Reich wächst. Manchmal geht es ganz schnell. Viele Menschen sind berührt und angesprochen vom Glauben. So wie am Pfingstfest. Erweckung nannte man das früher auch gerne.
In diesem Jahr denke ich dabei auch an die Missionstätigkeit von Bischof Otto von Bamberg. Wir können zwar die alten Berichte nicht mehr nachprüfen, ob es wirklich tausende waren, die sich in kurzer Zeit taufen ließen. Doch soviel ist klar: Es war eine günstige Zeit, und vor allem Ottos zweite Missionsreise hatte eine nachhaltige Wirkung. Neun Jahrhunderte lang war Pommern christlich geprägt. Auch später noch gab es solche Zeiten, in der Reformationszeit oder während der Erweckungsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Erst im 20. Jahrhundert setzten dann Entwicklungen ein, die das Christentum immer mehr zurückdrängten.
Manchmal sind es aber auch nur einzelne, die auf der Suche nach Gott sind und die Gott findet und anspricht. Geschichten wie solche von dem Finanzbeamten aus Äthiopien. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder vor, dass Erwachsene sich haben taufen lassen. Und meist kamen sie ganz allein auf mich als Pastor zu. Ihre Geschichte mit Gott hatte schon lange vorher begonnen. Lange, bevor ich mit ihnen in Kontakt kam. Sie waren Menschen begegnet, die von Gott erzählten. Manchmal die Großeltern, manchmal Bekannte oder Freunde. Und sie haben sich auf die Suche gemacht und informiert. Irgendwann war es dann soweit. Der Entschluss zur Taufe reifte in ihnen.
Gott baut sein Reich. Manchmal eindrucksvoll und im großen Stil. Manchmal still und leise im Hintergrund.
c) Ich frage mich, welches Szenario uns gerade näher ist. Ich mag mich irren. Denn Situationen und Zeiten können sich auch schnell ändern. Doch insgesamt denke ich, dass wir gerade in einer Zeit leben, in der Gott in unserer Region eher leise und verborgen wirkt. Statt großen Aufbrüchen erleben wir große Abbrüche. Und nur wenige Menschen kommen zum Glauben an Jesus Christus und werden Teil seiner Gemeinde.
Im Jahr 2006 hatte die Evangelische Kirche in Deutschland eine Schrift zur Zukunft der Kirche herausgegeben. Sie hieß „Kirche der Freiheit“. Die Abbrüche waren damals schon deutlich sichtbar. Darauf wollte man reagieren. Ein mutiger Versuch, der einen Mentalitätswechsel einforderte. Heute, 18 Jahre später, ist es hoch interessant, die damalige Einschätzung der Situation zu lesen. Trotz der Abbrüche sah man viele gute Voraussetzungen und Chancen für die Kirche der Zukunft. Man hoffte positiv an eine allgemeine religiöse Sehnsucht der Menschen anknüpfen zu können. Man sah auch ein enormes symbolische Kapital, das der Protestantismus in die Gesellschaft einbrachte. Dabei dachte man dachte an die Erfahrungen der friedlichen Revolution von 1989 oder den Aufbau der Dresdener Frauenkirche. Und man hoffte, auf den z.T. noch vorhandenen volkskirchlichen Strukturen aufbauen zu können.
Im Rückblick haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Das Feuer der Missbrauchsskandale hat das symbolische Kapital wie ein Stück Papier verbrannt. Die neuen religiösen Bewegungen führen nicht zur Kirche hin, sondern oft von ihr weg. Und die Volkskirche als tragende Struktur stirbt.
Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir als Kirche noch nicht die Talsohle erreicht haben. Wir sind noch auf dem Weg in die Wüste hinein. Aktuell weist noch nichts darauf hin, dass es wieder bergauf geht.
d) Andererseits – wieviel kann sich in 20 Jahren auch ändern? Nächstes Jahr feiern wir 850 Jahre kirchliches Leben in Altentreptow. Als vor 50 Jahren das 800jährige Jubiläum gefeiert wurde, da dachte noch niemand an die Wende. Und als vor 25 Jahren wieder gefeiert wurde, da schien ein Konflikt wie jetzt in der Ukraine nicht vorstellbar. Was wird in 20 Jahren sein? Das wissen wir nicht und können wir nicht beeinflussen. Es kann durchaus sein, dass sich die Zeiten für die Kirche hier bei uns bis dahin wieder ändern. Aber das wird nicht von uns abhängen. Gott ist es, der seine Kirche baut.
Doch im Moment sehe ich eher einen schwierigen Weg vor uns. Und diesen Weg gilt es zu gehen. Denn wir sind hier vor Ort Gemeinde Jesu Christi. So wie wir es vor 50 Jahren unter den Bedingungen des Sozialismus waren, und auch vor 25 Jahren in der Zeit des Aufbruchs in eine friedlichere Zukunft. So sind wir auch heute Gemeinde Jesu vor Ort, in einer durch vielfältige Krisen geplagten Welt.
Gott baut sein Reich auch heute noch. An anderen Orten mit großer Kraft und vielen Menschen. Bei uns – so denke ich – eher leise und verborgen. Doch er ist auch bei uns am Wirken. Ich bete, hoffe und vertraue darauf, dass Gott auch durch unsere kleine Kraft wirkt, durch unsere Musik, durch unser Gebet, durch unser Dasein an diesem Ort als Christen in Altentreptow und unseren Dörfern.
Manchmal denke ich: Gott schickt uns wie Philippus auf die einsame und öde Straße. Dort begegnen uns keine Massen, aber Einzelne, die Gott vorbereitet hat und in seine Gemeinde ruft. Und dann hoffe ich, dass wir wie Philippus da sind, dass wir mit Gottes Hilfe die richtigen Antworten auf ihre Fragen geben können, dass wir die Leidenschaft für Gott und unseren Glauben zeigen können, dass wir Suchende ein Stück auf ihrem Glaubensweg begleiten können. Und vor allem dass Gott den ein oder anderen soberührt und anspricht, dass es dann heißt: Was hinderts, dass ich mich taufen lasse?
e) Vielleicht klingen ihnen meine Worte zu entmutigend. Es gibt ja mancheErfahrungen, die einem leicht den Mut nehmen können. Doch andererseits: Es gibt keine Konkurrenz zwischen Pfingsten in Jerusalem und der Landstraße. Petrus und Philippus haben hoffentlich nicht sich versucht zu übertrumpfen: „Ätsch, ich habe mehr getauft.“ Darum geht es nicht. Es geht darum, dass Gott seine Gemeinde baut. Auf unterschiedlichste Weise. Und wir freuen uns sowohl mit Petrus als auch selbstverständlich mit Philippus über jeden Menschen, der zu Gott findet.
Gott baut seine Gemeinde, auch hier bei uns. Daher behalten wir Mut und Zuversicht, einen klaren Blick und Weisheit in unserem Handeln. Gott gebraucht uns auch heute noch. Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen