Predigt für Buß- und Bettag (20. November 2024)
von Vikar Winkler
Der Predigttext für den heutigen Gottesdienst steht geschrieben im Buch Jona im 3. Kapitel (3,4-
10):
„Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an
Gott und ließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, groß und klein, den Sack zur Buße an.
Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen
Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und
sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch
Vieh, weder Rinder noch Schafe Nahrung zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch
Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und zu
Gott rufen mit Macht. Und ein jeder bekehre sich von seinem bösen Wege und vom Frevel
seiner Hände! Wer weiß? Vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem
grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten
von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.“
Wort der heiligen Schrift
Jede Sekunde gibt es in der Welt viele ungeborene Kinder. Eines davon könnte Andreas heißen. Was
passiert mit ihm? Das ist noch offen… Andreas, geboren in Berlin-Zehlendorf wird wahrscheinlich
Zahnarzt oder Architekt. Andreas geboren in einer südamerikanischen Favela wird eher
Drogenkurier und früher oder später erschossen. Andreas geboren in Soweto kommt eher von der
rechten Bahn ab und landet im Gefängnis. Andreas geboren in den amerikanischen Apellachen wird
eher arbeitslos und stirbt an einer Überdosis Fentanyl…
Wer wir werden, darüber entscheidet zu einem großem Teil unsere Umwelt. Unser Elternhaus,
unsere Nachbarschaft, die Gesellschaft in der wir aufwachsen. Aus diesen gewinnen wir Chancen
für unser Leben, aber auch die Hindernisse.
Wächst Andreas in Münster auf, fährt er Fahrrad, wächst er in Berlin auf, fährt er Bus und Bahn.
Wächst Andreas hier in Vorpommern auf, fährt er Auto.
Unsere Umwelt beeinflusst, wie wir uns verhalten. Das beschränkt sich nicht auf Auto und Fahrrad.
Ein Kind von Rauchern, wird eher Raucher werden. Ein Kind von Schulabbrechern wird eher ohne
Schulabschluss abgehen. Ein Kind einer Borderlinerin wird selber eher seelische Probleme
bekommen.
Wie die Umwelt unser Verhalten prägt, prägt sie auch unser Verhältnis zu Gott. Ein Kind von
Christen wird eher im christlichen Glauben aufwachsen, als ein Kind konfessionsloser Eltern.
Unsere Umwelt, unsere Eltern, unsere Nachbarn, unsere Gesellschaft, unsere Welt prägt uns. Unser
Verhalten, unseren Werdegang, unsere Freizeit.Sie prägt aber auch unsere Sünden. Sünden sind christlich verstanden nicht die kleinen Fehltritte,
die wir uns leisten. Sünden sind die grundlegenden Erschwernisse, mit denen wir uns den Weg zu
Gott verbauen:
• Das ist zum Beispiel die Gier, wenn wir doch nicht genug bekommen können. Zu Essen, an
Sammlerstücken, an Geld.
• Da ist der Versuch selbst Gott zu werden, uns und die Welt immer besser zu kontrollieren,
immer mehr zu optimieren.
• Da ist aber auchder Versuch sich vor unserer Verantwortung zu drücken, vor der wir jeden
Tag gestellt werden, in dieser Welt.
• Und da ist der Versuch uns selbst zu belügen. Zum Beispiel, wenn wir glauben wir es uns
ewig leisten, so weiter zu leben, in diesem Reichtum, mit diesem Verbrauch von Rohstoffen.
Sünden machen sich letztlich immer an der Einzelperson fest, aber wir als Individuen sind nie frei,
indem, wie wir uns verhalten.
• Wir werden zum Konsum verlockt,
• wir machen mit bei den Versuchen, immer mehr Teile des Lebens wirtschaftlich zu
durchdringen,
• immer neue Angebote fesseln uns an die Bildschirme und schränken uns dabei ein, hier und
jetzt füreinander da zu sein,
• und wir trauen uns nicht, hier und auf der Straße, uns öffentlich einzugestehen, dass wir es
uns nicht leisten können, weiter dieses Leben zu führen, wenn unsere Kinder und
Kindeskinder auch noch gut leben sollen.
Wir stehen nicht als Einzelperson mit unseren Sünden vor Gott, sondern immer auch als Teil einer
Familie, einer Gemeinschaft, einer Stadtbevölkerung, einer Gesellschaft, einer Welt.
Gerade Sie, die hier aufgewachsen sind, wissen, dass es schier unmöglich ist, in einer ungerechten
Gesellschaft, gerecht zu leben. Wir alle wissen, dass es schier unmöglich ist in einer
ausbeuterischen Gesellschaft, nicht auszubeuten. Es ist schier unmöglich in einer rastlosen Welt,
innezuhalten.
Der Versuch ein richtiges Leben in einem falschen zu leben, zermürbt und zerstört uns über kurz
oder lang. Auf die eine oder andere Weise. Wir leben alle gemeinsam in einer Gesellschaft, in der
vieles im Argen ist. Früher oder später werden wir in den Strudel der Verfehlungen der Gesellschaft
hineingezogen. Ob wir es wollen oder nicht.
Das haben die Bewohner von Ninive in unserem heutigen Predigttext verstanden. Nicht der
Einzelne steht vor Gott. Die ganze Stadt steht vor Gott. Menschen und Tiere, selbst der König. Sie
erkennen, dass es nichts bringt, wenn Einzelne sich umkehren. Wenn nur die Herrschenden sich
ändern. Die Stadt wird doch zerstört. Eine Umkehr bedarf der Beteiligung aller. Alle müssen ihre
Trägheit ablegen, alle müssen bereit sein, sich unter Gott zu stellen, alle müssen ihre Grenzen
anerkennen, alle müssen wahrhaft büßen. Und weil sie dies tun, rettet sie Gott.
Wie aktuell diese Geschichte ist, wie sehr wir alle von einer gemeinsamen Umkehr abhängig sind,
können wir in unserer globalisierten Welt erkennen. Unsere Schokocreme zerstört die Küste inSüdostasien.
Unser Fleisch den südamerikanischen Regenwald. Unsere Heizung trägt bei zu
Überschwemmungen. Für unsere Autos werden Menschen vergiftet. Jede kleine Tat hier hat Folgen
an einem anderen Teil der Welt. Wir sind alle zusammen verstrickt in einem Geflecht von Sünden
und kommen alleine nicht heraus. Nein, wir schaffen es nicht. Daraus kann uns nur Gott befreien.
Wenn wir vor Gott treten, um eine Umkehr für uns bitten, müssen wir also immer auch um eine
Umkehr für die Welt bitten. Denn eines hängt mit dem andern zusammen. Und Hilfe, die kann
letztlich nur von Gott kommen, denn es ist ja doch kein anderer nicht, der für uns könnte streiten.
Aus genau diesen Erkenntnissen speist sich der Buß- und Bettag. Er speist sich aus einem lange
überlieferten Bewusstsein, dass während großer Krisen und Nöte alle gemeinsam Gott um eine gute
Wendung bitten und darum beten sollten. Legen wir nachher vor Gott unsere Sünden dann tun wir
das also nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil unserer Gesellschaft. Als Bewohner dieser
Welt. Bitten wir um Umkehr, dann bitten wir das nicht nur für uns, sondern für unsere ganze
Gesellschaft, für die ganze Welt.
Immer in der Hoffnung, dass Gott uns und unserer Welt die Güte zuteil werden lässt, die er der
Stadt Ninive zuteil werden ließ. Damit Andreas, oder wie er heißen wird, wird gut leben können,
ganz gleich, wo er jetzt geboren wird.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus
Jesus.
Amen