Jes 54,7-10 Predigt 19. März 2023 Lätare
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn, Jesus Christus. Amen
Bibeltext
Die Worte, die wir hören richten sich an die Stadt Jerusalem. Sie steht hier stellvertretend für das Schicksal des Volkes Gottes. Gott wendet sich ihr neu zu, so wie ein Mann sich seiner Frau nach einem Streit neu zuwendet. Gott bekräftigt das Versprechen seine Liebe und Treue.
7Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
8Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor,
dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
10Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht der HERR, dein Erbarmer.
Predigt
Liebe Gemeinde,
a) haben Sie die Worte der Lesung noch im Ohr?
10Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht der HERR, dein Erbarmer.
Das sind starke Worte. Sie wären ein schöner Konfirmationsspruch. Sie legen sich wie Balsam um die Seele. Und das sollen sie auch. In ihnen steckt eines der größten und wichtigsten Versprechen Gottes.
Wenn Gott sie ganz persönlich zu uns spricht, dann wird uns warm ums Herz. Wenn sein Heiliger Geist mit diesen Worten unsere Seele berührt, dann breitet sich in uns sein Frieden aus. Und das ist wunderbar.
b) Wir finden dieses Versprechen im Buch Jesaja in der Bibel. Im Zusammenhang gelesen, sind sie dort so etwas wie ein Eheversprechen. Sie richten sich an Jerusalem. Die Stadt symbolisiert hier das ganze Volk der Juden. Sie ist wie die Mutter des Volkes, wie es an derer Stelle bei Jesaja heißt. (Jes 66,10-11)
Jerusalem ist also so etwas eine Braut. Der Bräutigam ist Gott selbst. Allerdings ist von Hochzeitsstimmung keine Spur. Im Hintergrund steht vielmehr eine Beziehungskrise. Ein regelrechtes Drama. Doch damit soll nun Schluss sein. Gott versöhnt sich wieder mit Jerusalem und erklärt ihr erneut seine Liebe, ja, er leistet regelrecht einen Schwur.
Beziehungskrisen gab es nicht nur damals. Es gibt sie auch heute noch. Wir Menschen scheinen regelrecht Meister in Beziehungskrisen zu sein. Es macht meine Frau und mich immer betroffen, wenn wir hören, dass sich wieder ein Paar getrennt hat. Von den Folgen für die Kinder ganz zu schweigen.
Krisen, auch in einer Ehe, bleiben wohl nicht aus. Aber wie wunderbar ist es, wenn Paare sich versöhnen, an ihrer Beziehung arbeiten und beieinander bleiben. Das ist ein Geschenk.
Jesaja schildert die Beziehungskrise zwischen Gott und Jerusalem vor dem Hintergrund damaliger Konventionen. Und mit dem guten Ende und Gottes Treueschwur will Jesaja die Menschen in seinem Volk trösten und ihnen wieder Mut machen. Noch heute spüren wir die Kraft in diesen Worten. Noch heute spricht Gott selbst zu uns durch diese Worte und vergewissert uns seiner Liebe.
10Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht der HERR, dein Erbarmer.
c) So. Jetzt möchte ich am liebsten aufhören. Das Wichtigste ist gesagt. Gott bekennt uns seine Liebe. Doch ich kann noch nicht aufhören.
Am Sonntagmorgen vor einer Woche ereignete sich zwischen Siedenbollentin und Werder ein schlimmer Unfall. Vier Jungs in einem Auto. Vielen sind sie bekannt, auch in unseren Gemeinden. Zwei von ihnen wurden in unserer Kirche konfirmiert. Einer ist gestorben. Die anderen z.T. lebensgefährlich verletzt.
Unweigerlich frage ich mich: Wo ist da Gott gewesen? Wo soll man da etwas von der Liebe Gottes spüren, von der Gnade, die nicht weicht?
c1) Mir kommen andere Worte des Predigttextes in den Sinn. „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen“, heißt es da. Und ich frage mich: Hat Gott vergangenen Sonntag weggeschaut, sich abgewendet, nur diesen einen Moment?
Oder ich denke an den Satz: „Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen.“ Und ich frage mich: Können solche Ereignisse Momente sein, in denen wir Gottes Zorn erleben?
Ich kann Gott nicht in die Karten schauen. Doch ich meine: Die Worte des Predigttextes taugen nicht, um irgendein Urteil über diesen schrecklichen Unfall zu fällen. Denn diese Worte wurden in einen ganz anderen geschichtlichen Zusammenhang hinein gesprochen.
c2) Aber etwas anderes ist für mich klar: Die Gefühle, die in diesen Worten mitschwingen, die finde ich auch in der Situation dieser Woche wieder.
Das Gefühl, von Gott verlassen zu sein, stellt sich fast automatisch ein. Warum auch immer es so geschehen ist – die Frage bleibt, wo Gott bei diesem Unfall war.
Neben aller Trauer branden auch Zorn und Wut mit auf. Über die Unfassbarkeit des Ganzen. Über das, was möglicherweise dazu geführt hat. Über Gott, der scheinbar abwesend war.
Berge und Hügel sind nicht nur ins Wanken geraten. Sie sind regelrecht eingestürzt. Feste Gewohnheiten, die gewohnte Nähe und Vertrautheit im Umgang miteinander, die Gesundheit, das Leben selbst sind zusammengefallen.
c3) Es wären wohl andere Worte der Bibel, die in dieser Situation angemessen wären. Mir kommen Worte der Klage aus den Psalmen in den Sinn:
„HERR, warum stehst du so ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not?“ (Ps 10,1)
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.“ (Ps 22,2)
„Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig gehen?“ (Ps 42,10)
„Wach auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoß uns nicht für immer!“ (Ps 44,24)
Die Klagen, unsere Wut und Ratlosigkeit müssen sein. Und wir sollen und dürfen sie Gott an den Kopf werfen, so wie die Beter der Psalmen es durch die Jahrhunderte getan haben. Gott hält das aus. Und ich bin gewiss: Er trauert mit uns. Es tut auch ihm weh, wenn junge Menschen so früh sterben. Und dennoch lässt er es geschehen. Warum auch immer. In der Ewigkeit werden wir ihn fragen können, und er wird antworten können. Jetzt aber bleiben diese bohrenden Fragen oft ohne eine befriedigende Antwort.
Das Versprechen Gottes, das wir durch die Worte Jesajas gehört haben, erscheint gegenüber dem Gewicht der Fragen und Klagen fast leer und hohl. Und dennoch: Die Worte Jesajas halten eine andere Antwort bereit. Nicht in dem Sinn einer Erklärung. Aber Gott weitet und öffnet unseren Blick über diese Situation hinaus.
d) Denn schon jetzt bietet uns Gott seinen Trost an. Zu den stärksten und größten Versprechen, die Gott uns in der Bibel macht, gehören diese Verse:
10Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht der HERR, dein Erbarmer.
Jesaja verkündete diese Botschaft nicht, weil schon alle Probleme damals gelöst waren. Ganz im Gegenteil. Noch in der Krise sagte er die Wende an. Gegen das Gefühl und die Erfahrung, von Gott verlassen zu sein, versprach er die erneute Zuwendung Gottes. Und die Geschichte gab ihm Recht. Jerusalem wurde wieder aufgebaut. Und auch der Tempel wurde neu errichtet, ein sichtbares Zeichen für Gottes Zuwendung.
Gottes Bekenntnis seiner Liebe zu Israel hat aber einen Überschuss. Es weist über die Geschichte der Stadt Jerusalem hinaus. Gottes Liebe lässt sich nicht verrechnen. Sie ist tiefer und grundsätzlicher als alle geschichtlichen Erfahrungen.
e) Wie also können diese Worte mich trösten? Wie können sie mir Halt geben, auch wenn meine aktuelle Situation ganz anders aussieht und ich mich eher von Gott verlassen und im Stich gelassen fühle?
Als erstes denke ich: Manchmal spricht Gott diese Worte einem Einzelnen ganz unmittelbar zu. Nur für mich, ganz persönlich. So habe ich es immer wieder mit einzelnen Bibelworten erlebt. Und sogar mit diesem Predigttext.
Ich hatte als Jugendlicher eine Klassenarbeit versemmelt. Das kam leider manchmal vor. Doch diesmal hatte es mich irgendwie getroffen. Ich habe in der Bibel geblättert und bin dabei auf diesen Vers gestoßen.
7Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Genauso fühlte ich mich. Von Gott im Stich gelassen. Nun gut, die Arbeit hatte ich wohl selbst verhauen. Und vielleicht war es auch eher die Enttäuschung meiner Eltern oder meine eigene Enttäuschung über mich selbst und nicht Gottes Zorn, der mich niederdrückte. Aber die Zusage Gottes half mir, weiterzumachen. Ich konnte mich an Gottes Versprechen festhalten. Ich habe diese Worte damals in meiner Bibel unterstrichen. Noch heute erinnert mich das an die Situation damals.
Manchmal spricht Gott uns eben durch Worte der Bibel ganz persönlich an.
Als zweites denke ich an Jesus Christus. Gott hat das Versprechen seiner Liebe noch einmal erneuert in Jesus Christus. Als Mensch hat er sich selbst der Erfahrung von Leid, Not und Ablehnung ausgesetzt. Bis dahin, dass Jesus selbst am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46) Gott selbst erträgt die Konsequenzen der Gottverlassenheit. Doch Ostern bringt die Wende. Jesus lebt. Kreuz und Auferstehung besiegeln den ewigen Bund des Friedens, den Gott schon Jesaja versprochen hat.
Ein letztes. In der Bildsprache Jesajas ist Jerusalem die Braut. Aus der Asche wird sie zur Königin emporgehoben. Das historische Jerusalem blieb ein Ort wechselvoller Erfahrungen. Und so richtete sich die Hoffnung über das irdische Jerusalem hinaus auf das himmlische Jerusalem. Im letzten Buch der Bibel, im vorletzten Kapitel, bringt der Seher Johannes dies zur Sprache: „Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.“ (Offb 21,2) Und weiter: „Gott wird bei ihnen wohnen, …; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offb 21,3-4)
f) Das Versprechen Gottes weist über unsere Zeit hinaus. Manchmal fühlen wir uns von Gott verlassen. Und manchmal erleben wir, wie furchtbare Ereignisse wie Flutwellen über uns hinweggehen. Ja, das ist so.
Und dennoch gilt das Versprechen, das Gott seinem Volk gegeben hat – seinem Volk und seiner Gemeinde, uns, die wir glauben. Gott sagt uns zu: In Ewigkeit wird Frieden sein und nichts anderes. Öffnen wir darum unser Herz dafür. Und bitten wir Gott, dass er es auch zur rechten Zeit in die Herzen der betroffenen Familien spricht.
10Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht der HERR, dein Erbarmer.
Amen
Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen