„Vorfreude, schönste Freude“
– Predigt über Ps 126
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus
Christus. Amen.
Liebe Gemeinde
(1) Vorfreude, schönste Freude – nicht nur im Advent. Das wäre ja schade, wenn man
in den restlichen 11 Monaten des Jahres nichts hätte, worauf man sich schon freuen
könnte. Es sind immer besondere und schöne Momente, auf die sich die Vorfreude
bezieht. Ereignisse, die nicht alltäglich sind, sondern ein kleines Highlight.
Ich persönlich plane gerne unseren Sommerurlaub schon am Ende des Vorjahres, im
November, wenn draußen alles grau und trüb ist. Dann habe ich genügend Zeit,
Reiseführer durchzublättern, die Natur auf den Fotos zu bestaunen, mir vorzustellen,
wie kalt das Wasser des kristallklaren Bergsees sein wird, schon ein bisschen neidisch
auf die Ruhe zu sein, die das Bild ausstrahlt, kurz und gut, um die Vorfreude
auszudehnen.
(2) Das Gefühl dieser Vorfreude spüren wir auch in Psalm 126: „Wenn der Herr die
Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden.“ Wir
haben es eben miteinander gebetet. Und wenn Sie mögen, schlagen Sie ruhig noch
einmal das Gesangbuch auf (EG 750) und lesen mit.
Schauen wir uns diesen Psalm erst einmal genauer an. Ein Theologe nannte ihn
begeistert „ein[en] Edelstein in einfacher, aber würdiger Fassung.“1
Viele Texte der Bibel sprechen aus der Sicht derer, die im Exil sitzen. Um das Exil geht
es zwar auch hier. Aber ganz anders als sonst beten hier diejenigen, die NICHT mit ins
Exil nach Babylon verschleppt wurden.2 Die Beter sitzen in Israel, schauen von weiter
weg auf die gefangenen Volksgenossen im fernen Babylon. Aus ihrem Gebet
sprechen die Trauer und die Hoffnung der Zurückgebliebenen.
Die Beter beziehen sich auf ihre Erfahrung aus der Landwirtschaft, auf die jährliche
Aussaat und das bange Warten, ob die Saat aufgeht. Denn mit dem Saatgut begrub
der Bauer ein Großteil seines Vermögens in der Erde. Das war riskant, aber
notwendig für das Überleben. Denn die aufgehende Saat war vielen Gefahren
ausgesetzt: Hitze, Dürre, Heuschrecken. Und doch säte der Bauer in der Hoffnung,
1 Artur Weiser, ATD Psalmen, S. 524.
2 In dieser Deutung gebe ich, basierend auf der Übersetzung Martin Luthers und v.a. ausgehend von V. 4, demKommentar von Artur Weiser, ATD Psalmen, Göttingen 1960, den Vorzug vor Hans-Joachim Kraus, BK.APsalmen. Weiser übersetzt, im Gegensatz zu Kraus, die Verse 1.2 futurisch/im „perfectum propheticum“ undnicht als Vergangenheit.
dass am Ende eine reiche Ernte eingefahren werden kann. Am Ende würde eine
Freudenernte stehen, wenn die Garben dann mit großer Freude eingebracht würden.
Diese existenzielle Erfahrung nehmen nun die Beter als Vorbild für ihre eigene
Situation. Sie erinnern sich, wie die Nachbarn und Bekannten ihre Heimat verlassen
mussten, mit traurigem Herzen, ohne Hoffnung und sicher auch mit Tränen im Blick.
Doch in ihnen wächst die Gewissheit, dass Gott ganz gewiss das Geschick ihrer
Volksgenossen wenden wird. Dass Gott aus dieser Ausweglosigkeit des Exils herausund
zurückführen wird.
Die Beter sind sich ihrer Sache sehr sicher. Das beschreibt ein weiteres Bild. Im
Sommer trockneten regelmäßig kleine Bäche und Flüsse aus. Doch wenn die
Regenzeit kam, dann übersprudelten sie wieder mit Wasser. So sicher, wie eben das
Jahr für Jahr geschieht, so sicher waren sie sich über Gottes Eingreifen.
Und so sehen sie es schon vor ihrem inneren Auge, wie ihre Freunde und Bekannte
wieder zu ihnen, nach Hause, zurückkehren. Mit Jubel und voller Freude und
Erleichterung, wie man sich dankbar um den Hals fällt, wie man es eben tut, wenn
man sich lange nicht mehr gesehen hat. Vielleicht sind sie auch ein wenig neugierig,
was die Heimkehrer von ihrer Zeit in Babylon berichten werden. Was werden die
guten Garben sein, die sie mitbringen? Neue Erkenntnisse? Einen geläuterten
Glauben, der sich in der Fremde bewährt hat? Neue Familienmitglieder? Jedenfalls
spricht aus den Worten der Beter eine schlichte und tiefe Frömmigkeit. Ihre Hoffnung
fußt auf einer Zutraulichkeit zu Gott. Sie gehen ganz fest davon aus, dass Gott das
Geschick wenden wird.
(3) Nun, liebe Gemeinde, mute ich Ihnen einen gedanklichen Sprung zu und hoffe,
dass Sie mit mir drüben ankommen. Wir springen vom Psalmtext zum heutigen
Thema. Die Damen und Herren, die das Programm der Allianzgebetswoche erarbeitet
haben, verbinden Psalm 126 mit dem Thema der ewigen Freude. Bleiben wir also nun
einmal bei der ewigen Freude.
Wenn ich mir unsere Welt um uns herum so anschaue, dann bleibt da nichts ewig.
Alles verändert sich und alles vergeht einmal. Wenn wir also in unserer Welt nach
ewiger Freude suchen, werden wir nicht fündig. Ewige Freude, so denke ich, muss
also in der Ewigkeit begründet sein.
Und da komme ich auf den Text aus dem Johannesevangelium, den wir in der Lesung
gehört haben. Jesus sagt diese Worte, als er sich vor seinem Tod von seinen Freunden
verabschiedet. Er versteht, dass sie jetzt noch traurig sind über diese Trennung. Doch
er stellt ihnen in Aussicht, dass sie sich schon bald wiedersehen werden. Und dann
werden sie sich freuen.
Jesus bezieht sich hier auf die Begegnung mit seinen Jüngern nach seiner
Auferstehung. Und ebenso hat er seine Wiederkunft am Ende der Tage im Blick. Jesus
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ist dann also derjenige, der aus der Ewigkeit kommt. Dann, wenn sie sich nach seinem
Tod und seiner Auferstehung wieder begegnen, wird die Freude der Jünger so groß
und stark sein, dass niemand sie wegnehmen oder kleinreden kann. In der
Begegnung mit Jesus werden die Jünger ewige Freude erleben. Denn in ihm leuchtet
etwas von der Ewigkeit in unsere Welt herein.
Der auferstandene Jesus Christus bringt die ewige Freude mit, weil er aus der
Ewigkeit kommt. Bei ihm finden wir also die Freude, die ewig währt.
(4) Jetzt gilt es, diese ewige Freude mit Psalm 126 zusammenzubringen.
„Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird …“
Einige Situationen oder Umstände, die wie Gefängnisse sind, sehen oder erleben wir
in unserem Leben. Das kann Krankheit sein. Oder auch eine Sucht kann als ein
Gefängnis erlebt werden, aus dem man nicht herauskommt. Wieder ein anderer lebt
in einer Beziehung, die ihn einsperrt und die Freiheit zum Leben verwehrt. Mit Blick
auf die ewige Freude richten wir unseren Blick heute auf den Tod. Denn auch er ist,
menschlich betrachtet, ein Gefängnis, in dem jeder von uns, ausnahmslos, einsitzen
muss.
„Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird.“ Das ist wie ein Blick durch die
Gitterstäbe, wie ein Blick durch das Schlüsselloch hindurch in die „paradiesischen
Gefilde“, wie es ein Kommentar ausdrückt. Damit verlassen wir unseren anfänglichen
Standpunkt der Zurückgebliebenen. Wir Menschen, die wir einmal sterben müssen,
sind dann selbst die Gefangenen des Todes.
Doch die Tür ist geschlossen, solange, bis es einen passenden Schlüssel dafür gibt.
Und das ist Jesus Christus, oder besser gesagt, sein Kreuz.
Das Kreuz Jesu Christi ist der passende Schlüssel für die Gef.ngnistür des Todes. Als
Jesus am Kreuz starb und von Gott auferweckt wurde, brach er selbst aus dem
Gefängnis des Todes aus. Und wenn wir im Glauben annehmen, dass Jesus auch für
unsere Schuld am Kreuz starb, dann befreit er auch uns aus dem ewigen Tod. Dann
schließt er uns die Tür auf.
Und „dann werden wir sein wie die Träumenden.“ Dann wird uns das himmlische
Licht regelrecht blenden, so dass wir unsere Augen zusammenkneifen müssen. Wie
das so ist, wenn man aus einem dunklen Raum plötzlich ins Helle hinüber geht. Wie
das so ist, wenn man von der Dunkelheit des Todes plötzlich ins helle Licht der
Ewigkeit hinüber geht. Ich habe es zwar noch nicht erlebt, aber so stelle ich es mir
vor. Es wird überw.ltigend sein, wie in einem Traum. Kein Hunger mehr oder Durst,
keine Schmerzen mehr und kein Schmutz und Dreck aus der Zeit im Gefängnis. Besser
als in unseren kühnsten Vorstellungen. „Dann wird unser Mund voll Lachens und
unsere Zunge voll Rühmens sein“, für andere Worte wird kein Platz und auch keine
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Veranlassung mehr sein. Das Herz wird weit, damit Freude wieder einen Platz hat.
Das Paradies – für die einen ist es eine saftige grüne Wiese und ein dichter Wald, für
den anderen der Traumstrand. Und für den dritten sieht das Paradies ganz anders
aus: weiß, eine Skipiste in den Alpen. Paradies ist für manche eben nicht Südsee.
Ich weiß, das klingt jetzt alles etwas kitschig. Aber es ist doch so, dass jeder seine
eigenen Bilder und Farben von der paradiesischen Ewigkeit hat. Doch bei aller
Verschiedenheit gibt es sozusagen drei gemeinsame Nenner: In der Ewigkeit bei Gott
werden wir nichts vermissen und nichts wird unser Sein beeinträchtigen; Gott wird
das Licht und die Freude sein, die alles durchdringt; und das Lob der Gemeinde wird
den Himmel erfüllen.
Wenn der Herr uns aus dem Gefängnis des Todes befreien wird, werden wir staunen
über seine ewige Pracht. Dort werden wir uns über ihn freuen. Dann werden wir
aufgehoben sein bei Gott in der ewigen Freude.
(5) Liebe Gemeinde, wir sitzen hier und noch nicht in der Ewigkeit. Noch ist uns oft
genug zum Weinen zumute. Wir blicken sozusagen noch durch den Spalt in der
Gef.ngnistür. Das Licht, das uns entgegenscheint, die Verheißungen über Gottes
Ewigkeit und seine Freude – tun wir es nicht als Funzel ab. Sondern nehmen wir
Gottes Wort auch hier ernst. Dass wir durch Jesus Christus aus der Gefängniszelle des
Todes befreit werden und ewige Freude bei Gott erleben werden. Wenn wir uns
Gottes Wort über seine endgültige Herrschaft zu Herzen nehmen, erhalten wir uns
unsere Vorfreude – so, wie der Reiseführer die Vorfreude auf den Sommerurlaub
weckt.
Warten wir auf den Tag, an dem wir befreit und aus vollem Herzen Gott loben mit
den Worten: „Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich.“
Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen
und Sinne in Christus Jesus.
Amen.