Auf welcher Seite stehst du? – Predigt zu Lk 22,47-53, Sonntag Okuli, 12.03.2023
Lukasevangelium, Kapitel 22, Verse 47 bis 53:
47 Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen. 48 Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?
49 Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?
50 Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.
51 Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. 52 Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen? 53 Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herr Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
(1) es ist noch gar nicht so lange her, da telefonierten wir mit einer Bekannten und ihrem Sohn. Der Kleine wird im Frühjahr 6 Jahre alt und ist ein pfiffiges Kerlchen. Im Kindergarten fühlt er sich wohl. Er erzählte allerdings, sie würden im Kindergarten jetzt Krieg führen. Jungs gegen Mädchen – also die altbekannte Frontlinie, die bei ihm wohl noch maximal 10 Jahre hält. Und manchmal darf er auch der Anführer der Jungs sein. Er meinte dann noch, sie hätten ihre wirksamste Waffe verloren. Das war ein dicker Knüppel.
Es scheint wohl in uns Menschen so angelegt zu sein, „Krieg zu führen“, egal ob groß oder klein. Ob im Sandkasten oder an Ländergrenzen.
Und sobald sich zwei Seiten gegenüberstehen, stellt sich die Frage: Auf welcher Seite stehst du? Für wen bist du? Also auch: Gegen wen bist du?
(2) Bei unserem kleinen Freund im Kindergarten ist diese Frage eindeutig zu beantworten. Er ist natürlich für die Jungs, seine Freunde.
Auch in unserem Predigttext stehen sich zwei Seiten gegenüber. Diese zwei Seiten lassen sich ziemlich klar ausmachen: die Gruppe der Hohepriester und Ältesten einerseits und andererseits die Gruppe um Jesus.
Wer steht da auf welcher Seite?
Die Hohepriester und Ältesten sind eindeutig gegen Jesus. Sie kommen mit Hauptleuten und anderen bewaffneten Männern, um Jesus festzunehmen, mitten in der Nacht. Denn sie wissen nicht, wie das Volk zu Jesus steht. Sonst hätten sie keine Skrupel gehabt, Jesus am hellichten Tag in aller Öffentlichkeit festzusetzen.
Und Judas? Der hat ziemlich eindeutig die Seiten gewechselt. Früher war er mit Jesus und den anderen Jüngern unterwegs. Doch vor einigen Tagen ist er zu den Hohepriestern gegangen. Er will ihnen Jesus ausliefern. Und so führt Judas die Schar der Gegner an. Und mit einem Kuss, dem Zeichen der Freundschaft und Treue, hintergeht er Jesus.
Judas, die Hohepriester und Ältesten sind also die Gegner Jesu.
(3) Ganz so eindeutig ist es bei den anderen Protagonisten der Erzählung nicht.
Schauen wir uns zuerst einmal den Knecht des Hohepriesters an. Der Evangelist Johannes, der ebenfalls von Jesu Gefangennahme berichtet, kennt auch seinen Namen. Der Knecht heißt Malchus.
Als Knecht und Diener hat er keine Wahl, auf welcher Seite er steht. Er ist hier nur eine Marionette. Nach seinem Willen, nach seiner Meinung wird er nicht gefragt. Er ist ein Sklave und steht im Dienst eines Hohepriesters. Von ihm ist er abhängig. Und als Unterster in der Hierarchie wird er wohl in den Augen seiner Umwelt auch nicht viel Wert sein.
Ob er überhaupt eine eigene Meinung über Jesus hätte, wenn ihn einer fragen würde?
Nun, im Garten Gethsemane, steht er unglücklicherweise recht ungünstig. Ein voreiliger Jünger Jesu schlägt Malchus mit einem Schwert das Ohr ab.
Wenn ich mir dieses Handgemenge so vorstelle, dann denke ich: Jesus hat bestimmt die Schwerthand seines Jüngers abgefangen und so den Hieb aufgehalten. Denn wenn einer mit Wucht und Schwung zuhaut, dann ist nicht nur das Ohr ab, sondern bestimmt auch gleich die Schulter zertrümmert. Das passiert hier aber nicht. Nur das Ohr ist ab. Indem Jesu also eingreift, bewahrt er das Leben von Malchus. Mit einer zertrümmerten Schulter wäre Malchus als Sklave wertlos und könnte seiner Arbeit nicht mehr nachkommen. Doch damit nicht genug. Jesus heilt auch seine Wunde am Ohr.
Malchus lernt Jesus kennen als den, der nicht sein Feind ist. Ganz im Gegenteil: Er lernt Jesus kennen als den Heiland, der ihn heil macht. Er erlebt, dass Jesus etwas an seinem Leben liegt. Und das, obwohl er nur ein Sklave ist. Der Knecht Malchus ist in Jesu Augen so viel wert, dass er an ihm ein Wunder wirkt und ihm sein Leben bewahrt.
Wenn ich so darüber nachdenke, frage ich mich: Auf welcher Seite würde Malchus jetzt stehen, wenn ihn jemand fragen würde? Klar, bestimmt ist er Jesus dankbar für sein Eingreifen. Sicher ist er froh, dass die Schwerter wieder weggesteckt werden. Denn er steht ja sozusagen an vorderster Front. Nun, da er Jesus wenigstens etwas kennengelernt hat, hätte er, Malchus, die Seite gewechselt?
Leider erzählt die Bibel nichts weiter über ihn. Doch indem sie seinen Namen kennt, ist er sicherlich nach Ostern kein Unbekannter in der christlichen Gemeinde. Doch alles Weitere bleibt offen.
(4) Schauen wir uns nun die Jünger von Jesus an. Zuerst nehmen wir mal an, dass sie natürlich auf Jesu Seite stehen. Und wie sich das für Freunde gehört, wollen sie Jesus verteidigen. Freunde stehen nun einmal füreinander ein. Und so liegen ihre Hände schon am Schwertknauf. Natürlich wollen sie den Angriff gegen Jesus abwehren.
Für einen der Jünger ist die Sachlage klar: Die bewaffnete Gruppe um die Hohepriester ist gegen sie, also hoch das Schwert. Eine friedliche Lösung kann er sich offenbar nicht vorstellen.
Doch die anderen Jünger fragen zum Glück Jesus, was sie machen sollen. Jesu Antwort ist eindeutig: „Lasst ab. Nicht weiter.“ Die Schwerter gehören weggesteckt, zumindest jetzt und hier.
Damit wird die Lage schon etwas anders. Klar sind die Jünger auf Jesu Seite. Aber das heißt nicht automatisch, dass sie die anderen, die Gegner von Jesus, mit dem Schwert attackieren dürfen. Denn dass sie auf Jesu Seite stehen, macht sie nicht automatisch zu Gegnern der Hohepriester und Ältesten. So schwarz-weiß ist es nicht.
(5) Das sehen wir nun schlussendlich auch an Jesus Christus selbst.
Macht er mit bei dieser Gegnerschaft? Nein, tut er nicht. Er verwischt die Grenzen von „wir gegen die“. Seine Macht und Gewalt zeigt sich eben nicht darin, wie geschickt er mit dem Schwert umzugehen weiß. Sondern seine Macht wird darin offenbar, dass er hier zum Beispiel Malchus‘ Ohr heilt. Er heilt Malchus, der ja nun absolut nicht „auf seiner Seite steht“.
Jesus lässt nicht für sich kämpfen, weder seine Freunde noch seine Feinde. Er heißt seine Jünger, die Schwerter wieder wegzustecken. Und so gibt es auch für seine Gegner keinen Grund mehr, ihre Waffen einzusetzen. Denn von seiner Seite aus gibt es keine Gegenwehr.
Jesus liefert sich der Gewalt aus, aber von ihm selbst geht keine Gewalt aus.
Man muss sich das einmal vor Augen führen: Hier wäre die erste Möglichkeit, den zukünftigen Lauf der Geschichte, also Jesu Geschick, zu ändern. Jesus Christus wird hier als Unschuldiger verhaftet. Er hätte also jedes Recht, sich mit allen Mitteln zu verteidigen. Doch von diesem Recht macht er keinen Gebrauch. Er lässt es zu.
Für seine Freunde, die neben ihm stehen, ist das natürlich schwer auszuhalten.
(6) So lässt sich Jesus widerstandlos verhaften. Er geht den Weg zum Kreuz. Es ist seine Bestimmung und seine Entscheidung. Am Ende stirbt er für die Schuld aller Menschen. Ja, auch für die Hohepriester und Ältesten, die ihm nach dem Leben trachten.
Er stirbt auch für die Schuld des Judas, der ihn ans Messer liefert.
Er stirbt auch für uns, ob wir uns nun seine Freunde oder seine Feinde nennen. Er selbst hat mit seinem Tod am Kreuz, den er für jeden einzelnen von uns starb, schon längst seine Seite gewählt. Jesus steht auf unserer Seite.
Doch wo stehen wir Menschen? Immer sind wir diejenigen, die Position beziehen – für oder gegen Jesus.
Schaut man noch einmal in den Predigttext, fällt eine Sache in diesem Zusammenhang auf: Dreimal kommt das Wörtchen „gegen“ vor (zumindest im Griechischen). Und alle drei Mal it es die Gruppe um die Hohepriester, die gegen Jesus vorgehen. Es sind also immer Menschen, die sich gegen Jesus stellen. Es ist nie andersherum: Es ist nicht Jesus, der gegen Menschen ist. Er ist niemandes Feind.
Allerdings sehen seine Gegner, die Hohepriester das ja nicht so. Aus ihrer Sicht ist die Sache ganz anders. Denn Jesus tritt ja mit dem Anspruch auf, der Messias zu sein. Und das bedroht die Ordnung ihres Glaubens. Sie verstehen es als Angriff. Aus ihrer Sicht verteidigen sie also nur den Glauben, wenn sie Jesus zum Schweigen bringen, weil er sich gegen sie gestellt hat. Sie sehen sich also im Recht.
Doch damit irren sie sich. Sie verkennen Jesus. Denn in Jesus begegnet ihnen eben nicht nur ein Mensch unter Menschen. In Jesus begegnet ihnen Gott selbst, der Schöpfer. Als Heiland will er zu allen Menschen kommen. Deshalb kann ich behaupten: Er ist niemandes Feind. Doch man kann sich selbst zu seinem Gegner machen.
Jesus meint es ernst. Das zeigt sich angefangen damit, dass Jesus sich in Gethsemane widerstandslos abführen lässt, bis hin zu seinem Tod am Kreuz. Für uns Menschen nimmt er das auf sich. Denn Jesus steht zwar gegen die Sünde und alles, was uns von Gott entfremdet. Aber Jesus ist keines Menschen Feind.
Und so stellt sich uns die Frage: Auf welcher Seite stehen wir? Jesus steht auf unserer Seite. Stehen wir auch auf seiner Seite?
(7) Auf welcher Seite stehst du?
Für unseren kleinen Freund im Kindergarten ist die Antwort einfach. Beim „Bandenkrieg“ von Jungs gegen Mädchen ist klar, wo wer steht.
Auch in unserem Predigttext sind einige Seiten klar vorgeschrieben: Die Hohepriester und Ältesten sind eindeutig gegen Jesus. Ebenso Judas, der ihn verrät. Und die Jünger stehen selbstverständlich auf Jesu Seite, auch wenn sie nicht so genau wissen, ob sie deswegen nun ihre Schwerter ziehen sollen oder gerade nicht.
Jesus selbst zeigt sich hier als derjenige, der keines Menschen Feind ist. Er heilt Malchus, der zu ihm als ein Gegner kommt.
Und wie sieht es mit uns aus? Stellen wir uns auf Jesu Seite. Denn er will unser Freund sein, nicht unser Feind. Und dann versuchen wir wie er, die anderen vielleicht nicht immer unbedingt als Freunde, aber zumindest nicht als Feinde zu betrachten. Stellen wir uns auf Jesu Seite und damit auf die Seite aller Menschen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.