2. Mose 34,4-10 Predigt 6. Oktober 2024
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
a) morgen, am 7. Oktober 2024, jährt sich zum ersten Mal der terroristische Anschlag der Hamas auf Israel. Innerhalb weniger Stunden wurden über 3.000 Raketen auf Israel abgeschossen. Kämpfer der Hamas überfielen ein Musikfestival, verwüsteten mehrere Ortschaften, töteten auf grausame Weise über 1.200 Männer, Frauen und Kinder. Über 240 wurden entführt.
Kurz darauf folgte die Reaktion Israels. Millionen von Palästinensern mussten fliehen. Ca. 40.000 Menschen verloren ihr Leben, wobei die Gesundheitsbehörde der Hamas bewusst nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheidet. Große Teile der Infrastruktur im Gazastreifen sind zerstört.
Bevor ich weiterrede, bitte ich Sie um einen Moment der Stille, um der Opfer dieses Krieges zu gedenken.
b) Vielleicht fragen Sie sich, warum nun auch noch der Pastor in der Kirche darüber spricht, was die Nachrichten dieser Tage bestimmt.
Wenn es um Israel geht, dann geht es nicht nur um Politik. Es schwingt eine religiöse Dimension mit, die auch unseren christlichen Glauben betrifft. Darauf möchte ich mit Ihnen heute Morgen einen Blick werfen.
Schon der Predigttext für den heutigen Sonntag führt uns in diese Richtung. Davon ausgehend überlege ich, wie wir überhaupt solche Bibeltexte lesen und wie sie uns Orientierung geben können für aktuelle Fragen. Das führt mich am Ende zu der Frage, wie eine biblische Perspektive für den Frieden im Heiligen Land aussehen könnte.
Zunächst lese ich den Predigttext. Er steht im zweiten Buch Mose, Kapitel 34, die Verse 4-12:
4Und Mose hieb zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand. 5 Da kam der HERR hernieder in einer Wolke und trat daselbst zu ihm. Und er rief aus den Namen des HERRN. 6 Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, 7 der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied. 8 Und Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an 9 und sprach: Hab ich, HERR, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und lass uns dein Erbbesitz sein. 10 Und der HERR sprach: Siehe, ich will einen Bund schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie sie nicht geschaffen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll des HERRN Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde.
11 Halte, was ich dir heute gebiete. Siehe, ich will vor dir her ausstoßen die Amoriter, Kanaaniter, Hetiter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. 12 Hüte dich, einen Bund zu schließen mit den Bewohnern des Landes, in das du kommst, damit sie dir nicht zum Fallstrick werden in deiner Mitte.
c) Der Bibelabschnitt führt uns in die Zeit, als das Volk Israel aus Ägypten ausgezogen war, aber das neue Land noch nicht erreicht hatte. Gerade hat das Volk einen schweren Fehler begangen. Es hat sich ein goldenes Kalb gegossen und als Gott angebetet. Vor Zorn darüber hat Mose die Tafeln mit den 10 Geboten zerbrochen. Nun bekommt er neue Tafeln von Gott. Und er redet mit Gott über das Volk. Mose bittet um Vergebung für das Volk. Und Gott setzt seine Geschichte mit Israel fort. Es wird Wunder erleben. Gott wird die Bewohner, die noch in dem neuen Land leben, vertreiben. Und Israel soll keine Verträge mit ihnen schließen. Soweit der heutige Bibelabschnitt.
d) Nun sind wir mittendrin. Der heutige Staat Israel ist kein religiöser, sondern ein säkularer Staat. Doch spielen Fragen der Religion eine große Rolle im Zusammenleben der Menschen im Nahen Osten. Somit haben auch die Konflikte dort eine religiöse Dimension.
Die Texte der Bibel spielen dabei eine Rolle. Gerade die letzten beiden Verse,die ich vorgelesen habe, können wie ein Brandbeschleuniger wirken. Sie scheinen ein friedliches Zusammenleben unmöglich zu machen.
Wie gehen wir damit um?
Für Menschen, die nicht an Gott glauben, ist das relativ einfach. Für sie haben die Texte der Bibel keine normative Bedeutung. Das macht es einfach.
Für andere sind die Texte der Bibel unanfechtbar. Das Wort wird so, wie es steht, auf Situationen in der Gegenwart bezogen. Auch diese Lösung macht es sich in gewisser Weise leicht. Denn sie übersieht, dass die biblischen Texte selbst vielfältig sind. Sie wurden in sehr unterschiedlichen Situationen gesprochen und aufgeschrieben. Man kann nicht einfach die Texte der Landnahme Israels aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus als Maßstab für heutige Konflikte nehmen.
Stattdessen suche ich einen anderen Weg. Auch ich vertraue darauf, dass uns Gott durch die Worte der Bibel heute noch Orientierung gibt. Dazu gehört es für mich, auch die historische Gestalt der Texte anzuerkennen, damalige Situationen von den heutigen zu unterscheiden und auch Entwicklungen in den biblischen Texten wahrzunehmen. Manche biblischen Texte werden durch andere eingegrenzt. Gerade den sehr brutalen Texten, die von einer gewaltsamen Eroberung des Landes sprechen, stehen auch andere Texte gegenüber. Sie öffnenPerspektiven eines friedlichen Zusammenlebens mit Menschen aus anderen Völkern. Manche Texte müssen auch metaphorisch verstanden werden und nicht wortwörtlich. Allein der biblische Text tut es nicht. Wir müssen ihn in ein Verhältnis setzen zu anderen biblischen Texten und verschiedenen Situationen.
Dieser Weg, mit biblischen Texten umzugehen, ist nicht einfach. Er bedeutet Arbeit und Mühe. Doch ich bin überzeugt, dass er sich lohnt. Denn Gott gibt uns durch die Worte der Bibel auch heute Orientierung.
e) Wie können uns nun biblische Texte wie der heutige helfen, einen anderen, vielleicht geistlichen Blick auf die Konflikte im Nahen Osten zu bekommen?
Gott hat sich Israel als sein Volk vor allen anderen Völkern erwählt. (2. Mose 19,5-6) Mit diesem Volk hat er eine besondere Geschichte. Diese Erwählung Israels soll allen Völkern zugutekommen. (Gen 12,3) Als Christen glauben wir, dass die Geschichte Gottes mit seinem Volk in die Geschichte Jesu mündet und sich damit für alle Völker öffnet.
Das hebt jedoch die Erwählung Israels nicht auf. Gott hat also auch weiterhin eine besondere Geschichte mit Israel. Das mussten wir Christen erst wieder neu lernen. Über Jahrhunderte hinweg hatten wir dies vergessen und sind dabei oft an Israel schuldig geworden.
Dazu gehört, dass das Volk Israel eine besondere Beziehung zum Land zwischen Mittelmeer und Jordan hat. Seit über 3.000 Jahren lässt sich die Existenz dieses Volkes nachweisen. Es gab dabei Zeiten, in denen Israel als ein eigener Staat existierte. Manchmal auch in zwei Staaten getrennt. Es gab aber auch Zeiten, in denen das Volk Israel unter fremder Herrschaft im Land lebte. Und es gab Zeiten, in denen große Teile der Bevölkerung das Land verlassen mussten und im Exil lebten. Ende des 19. Jahrhunderts dann setzte eine neue Bewegung ein. Viele jüdische Menschen kehrten in das Land ihrer Vorfahren zurück. Diese Entwicklung mündete in der Gründung des heutigen Staates Israel. Ich persönlich sehe darin ein Handeln Gottes.
f) Enthebt das den Staat Israel von allen moralischen, ethischen oder rechtlichen Verpflichtungen des Völkerrechts oder der Menschenrechte? Nein, ganz gewiss nicht. Eher im Gegenteil. Weil Israel von Gott erwählt ist, sind die Erwartungen an Israel eher höher. Gott selbst erhebt diesen Anspruch. Davon zeugt auch der Predigttext heute Morgen. Er erzählt allerdings auch davon, dass Israel diesem Anspruch oft nicht genügen konnte.
Mose musste ein zweites Mal von Gott die Gebote bekommen und sie dem Volk überbringen. Die Propheten Israels wie Jeremia, Micha oder Amos haben immer wieder soziale Missstände angeprangert. Israel ist um seiner Geschichte, ja um Gottes Willen dazu verpflichtet, die Menschenrechte zu achten.
Man könnte nun an vielen Beispielen zeigen, dass genau das auch in Israel geschieht. Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in der Region. Vor dem Krieg gab es in Israel große Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung. Und auch über den Kriegsverlauf wird in Israel diskutiert und gestritten. Israel ist eine lebendige Demokratie, in der sogar Araber als Staatsbürger anerkannt sind.
Israel ist nicht perfekt, weder das antike noch das moderne. Man muss auch nicht das aktuelle militärische Handeln Israels für gut befinden. Auch in Israel tun dies nicht alle. Man sollte dabei aber immer bedenken, von welchem eigenen Standpunkt aus man Kritik übt. Israel verteidigt sich im Gazastreifen gegen einen Feind, der Milliarden an Entwicklungshilfsgeldern in unterirdische Tunnel und Waffen investiert hat und dessen Ziel die Zerstörung Israels ist.
g) Wer sich ein wenig die Geschichte der letzten Jahre anschaut, der sieht, wie Israel immer wieder um Frieden bemüht gewesen ist. Doch es scheint aussichtslos, dass Frieden im Land überhaupt möglich ist.
Man könnte nun den Kopf in den Sand stecken. Dagegen will ich die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden nicht aufgeben. Er wäre ein Wunder, so wie allein die Existenz eines Staates Israel nach fast zweitausend Jahren ein Wunder ist. Doch wie sagt Gott zu Mose: „Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun.“(V. 10)
h) Wie könnte ein solches Wunder aussehen?
Ich persönlich glaube, dass der Frieden sich mit einer Ein-Staaten-Lösung verbindet.
Yehuda Frank, ein messianischer Jude, hat sich viele Gedanken über eine Ein-Staaten-Lösung gemacht. Dabei orientiert er sich auch an biblischen Texten. Der Staat Israel würde sich als eine Föderation neu erfinden. Er böte Raum für unterschiedliche Gebiete, wie kleine Bundesländer oder Kantone. Diese könnten unterschiedlich geprägt sein. So könnten säkulare Israelis, religiöse Israelis, christliche oder muslimische Araber oder Palästinenser bestimmte Fragen des Zusammenlebens selbstständig regeln. In wirtschaftlichen und außenpolitischen Dingen wäre es aber ein gemeinsamer Staat Israel. Alle Bürger wärengleichberechtigt. Die Voraussetzung für jeden Bürger wäre allerdings die Anerkennung des Staates Israel.
Der Weg zu einer solchen Lösung wäre nicht einfach. Doch er würde sich lohnen. (https://www.israelnetz.com/auf-dem-weg-zu-einer-biblischen-ein-staat-loesung/)
Ich glaube, dass darauf der Segen Gottes liegen würde. Denn er hat sein Volk wieder in dieses Land zurückgeführt und dort gesegnet. Und schon die Gebote des Alten Testamentes fordern, dass auch nicht-jüdische Menschen, die dauerhaft im Land leben, die gleichen Rechte haben sollen. (4. Mose 15,16; Hes47,21-23)
So hatte bereits der Prophet Hesekiel eine Vision, wie die Heimkehrer aus dem babylonischen Exil vor fast 2500 Jahren mit den Menschen, die mittlerweile in Jerusalem und Umgebung wohnten, friedlich zusammenleben könnten.
Hesekiels Worte können auch heute noch eine Brücke zu einem friedlichen Zusammenleben in einem Staat Israel sein.
„21Und ihr sollt dies Land austeilen unter die Stämme Israels, 22und wenn ihr das Los werft, um das Land unter euch zu teilen, so sollt ihr die Fremdlinge, die bei euch wohnen und Kinder unter euch zeugen, halten wie die Einheimischen unter den Israeliten; mit euch sollen sie ihren Erbbesitz erhalten unter den Stämmen Israels, 23und ihr sollt auch ihnen ihren Anteil am Lande geben, jedem bei dem Stamm, bei dem er wohnt, spricht Gott der HERR.“ (Hes 47,21-23)
Diese Vision eines friedlichen Zusammenlebens im Heiligen Land ist eine gute Perspektive.
Beten wir darum für die Menschen in Israel und Palästina, dass Gott ein Wunder tut und der Weg zum Frieden sich öffnet.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen
Gebet
Du Gott Israels,
heute bringen wir vor Dich die Opfer des Terrorüberfalls vom 7. Oktober des vergangenen Jahres. Wir gedenken in Trauer all der Getöteten, Vergewaltigten, Verwundeten und Verschleppten und ihrer Angehörigen. Noch immer warten Angehörige verzweifelt auf die Rückkehr ihrer Lieben. An sie denken wir heute besonders.
Gott, viel Zeit ist vergangen seitdem. Wir sehen voll Sorge auch den Krieg und die Zerstörung, die aus dem Überfall erwachsen sind, in Israel, in Gaza oder im Libanon. So viele Menschen sind gestorben, verletzt, heimatlos.
In Jesus Christus stehst du, Gott, an der Seite der Leidenden. Wir bitten dich: Mach der Gewalt ein Ende. Das Herz jedes Menschen mache hell mit deinem Schalom, nur so kann Frieden sein. AMEN
(EKD https://www.nordkirche-weltbewegt.de/news/7-oktober-ein-jahr-danach/)
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