Mt 9,9-13 Predigt Septuagesimae
5. Februar 2023
Bibeltext
9Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
10Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
11Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?
12Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. 13Geht aber hin und lernt, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
a) mit wem man sich trifft, und an einem Tisch sitzt, das hat schon immer eine Bedeutung gehabt. Denn an einem Tisch zu sitzen und miteinander zu essen und zu trinken, das sagt etwas aus. Es geht ja um viel mehr als um die Aufnahme von Kohlenhydraten und Flüssigkeit. An einem Tisch zu sitzen, schafft Verbindung. Nicht umsonst gibt es die Redewendung: „Der hat das Tischtuch zerschnitten.“ Man meint damit, dass es keine gemeinsame Basis mehr gibt. Wenn ich also jemanden an meinen Tisch einlade, mit ihm esse und trinke, mit ihm fröhlich bin, mich mit ihm unterhalte, dann ist das ein Zeichen von Akzeptanz und Wertschätzung.
b) Jesus sitzt auch mit Leuten an einem Tisch. Und da Jesus eine Person des öffentlichen Lebens ist, schaut man genauer hin, wer denn da so zu Gast ist. Zöllner und Sünder nennt der Evangelist Matthäus ganz pauschal. Es geht also um Menschen, die in der Gesellschaft generell unbeliebt waren. Aber auch um Menschen, die den religiösen Standards nicht entsprachen. Schnell denkt man dabei an einfache Menschen ohne Bildung und ohne Arbeit und vielleicht mit rauem Benehmen. Doch nicht nur an die unteren Schichten ist hier gedacht. Zöllner gehörten zur Oberschicht und waren finanziell gut bestellt. Aber in gewisser Hinsicht waren sie die „Schmuddelkinder“ des Volkes. Sie arbeiteten mit den Römern zusammen und suchten dabei allzu oft ihren eigenen Vorteil. Religiöse Bestimmungen, die für die Zeitgenossen Jesu wichtig waren, fielen dabei manchmal hinten runter.
Jesus setzt sich also mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch, feiert mit ihnen, diskutiert mit ihnen. Das bleibt nicht lange unbemerkt.
c) Pharisäer melden sich zu Wort. Sie fragen bei den Jüngern von Jesus nach, was da gerade passiert. Ihre Frage ist nicht ganz neutral. Im Herzen haben sie ihr Urteil schon gesprochen.
Die Pharisäer wollten Gott in ihrem Leben ernst nehmen. Sie versuchten darum, die Gebote besonders genau zu beachten. Sie wollten sogar die Gebote einhalten, die gar nicht für sie gedacht waren, sondern nur für die Priesterschaft am Tempel. Sie hatten also besonders strenge Vorstellungen davon, was geht und was nicht. Zöllner und Sünder fielen dabei in jedem Fall durch. Und wenn Jesus sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch setzte, dann war das für sie kein gutes Zeichen. Dann eignete sich Jesus in ihren Augen keinen guten Ruf an.
Ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Aber ich bin innerlich gar nicht soweit weg von den Pharisäern. Ich kenne den kleinen Pharisäer in mir. Natürlich möchte ich Gott auch ernst nehmen. Aber ich denke an etwas anderes. Ich weiß genau, gegenüber welchen Gruppen von Menschen ich Vorurteile und vielleicht auch berechtigte Skepsis in mir habe. Ich verzichte nun darauf, dass konkret zu machen. Doch bestimmte Haltungen und Lebensweisen halte ich für verkehrt oder gesellschaftsschädlich.
Wenn ich mich so umschaue, dann bin ich dabei auch nicht der Einzige. In Gesprächen, aber auch Zeitungsartikeln und Nachrichten begegnen mir ganz oft solche Einstellungen, die Menschen in Schubladen stecken und vorverurteilen. Und im Grunde genommen ist das ganz wechselseitig. Was die einen gut finden, lehnen die anderen ab. Und was die einen ablehnen, finden die anderen genau richtig. Und so spaltet sich unsere Gesellschaft immer mehr auf. Manchmal, aber nicht immer, hat diese Spaltung eine religiöse Dimension.
Ich kenne also den kleinen Pharisäer in mir. Und vielleicht kennen Sie den ihren auch. Ich fühle mich also auch angesprochen, wenn Jesus sich nun in das Gespräch einmischt.
d) Jesus antwortet mit einem Sprichwort: „Nicht die Gesunden benötigen den Arzt, sondern die Kranken.“ Das liegt auf der Hand. Denn große Möglichkeiten von Vorsorgeuntersuchungen hatte man damals noch nicht. Im Grunde genommen gilt es aber auch heute noch. Der Arzt ist zuerst für die Kranken da.
Die Antwort von Jesus hat es in sich. Jesus macht einen ziemlich großen Spagat. Und er bekommt ihn hin. Ich wünschte mir, dies auch zu lernen und auf diese Weise Menschen zu begegnen, wie Jesus.
Jesus lehnt die Pharisäer hier nicht ab. Er erkennt ihre Bemühungen, nach Gottes Willen zu leben, an. Indirekt sagt er: „Ihr seid doch die Starken. Ihr seid doch gesund. Ihr seid doch mit Gott im Reinen.“ Das ist schon eine ganze Menge an Lob.
Doch dabei bleibt Jesus nicht stehen. Er sagt weiter: „Ihr wisst zwar schon eine Menge von Gott, aber ihr könntet noch mehr lernen. Geht hin und lernt.“ Das Witzige dabei ist, dass Jesus sich damit zum Lehrer diese Gelehrten macht und sie zu seinen Schülern. Das war bestimmt nicht ihre Absicht, als sie das Gespräch begannen. Sie hatten ja auch nicht Jesus angesprochen, sondern nur seine Jünger. Doch Jesus antwortet ihnen wie ein Lehrer und fordert sie damit auf, seine Schüler zu werden. Ganz schön provokativ.
e) Auf der anderen Seite sind da nun die Zöllner und Sünder, die mit Jesus an einem Tisch sitzen. Jesus spricht sie zwar nicht direkt an. Aber auch über sie sagt er indirekt etwas. Sie sind offensichtlich die Kranken, die des Arztes bedürfen. Und das natürlich nicht im körperlichen Sinn, sondern im geistigen.
Die Kritik und die Vorbehalte der Pharisäer haben also eine Berechtigung, die Jesus anerkennt. Es ist eben nicht alles in Ordnung im Leben seiner Tischnachbarn. Ihre Beziehung zu Gott ist nicht im Reinen und ihr Verhalten auch nicht immer vorbildhaft.
Wie mögen sich seine Gäste gefühlt haben? In gewisser Hinsicht brüskiert er sie genauso, wie er die Pharisäer brüskiert.
Auch von ihnen wird keine Reaktion berichtet. Man kann aber vielleicht vermuten, dass sie anders als die Pharisäer um ihre Hilfsbedürftigkeit wussten. In der Tischgemeinschaft mit Jesus erfahren sie etwas von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Sie gilt ihrer Person, vor allem ihrem Tun und Lassen. Und sie erfahren etwas von der Kraft der Vergebung und des Neuanfangs, die in der Begegnung mit Jesus liegt.
f) Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, dann sind wir Gäste am Tisch Jesu. Er lädt uns ein. Wir sind vielleicht keine Pharisäer und auch keine Zöllner und Sünder in einem plakativen Sinn. Aber in gewisser Weise sind uns beide Gruppen auch nicht fremd. Vom kleinen Pharisäer in mir hatte ich ja schon gesprochen. Doch den kleinen Zöllner gibt es in mir auch, der immer zuerst seinen eigenen Vorteil sucht. Wenn wir zum Abendmahl kommen, dann immer als Gäste, die von Jesus eingeladen sind. Er ist der Gastgeber. Er gibt, was wir brauchen: Vergebung, Neuanfang, neue und immer wieder erneuerte Ausrichtung auf Gott, Trost, Hilfe, Erkenntnis.
g) Was nehme ich mit aus dieser Geschichte? Jesus gelingt ein großer Spagat.
Er würdigt seine Gäste, dadurch, dass er mit ihnen an einem Tisch sitzt. Und zugleich sagt er ihnen, dass sie eigentlich krank sind.
Und seinen Kritikern bescheinigt er einen starken Glauben und zugleich macht er sie zu seinen Schülern und fordert sie auf, von ihm zu lernen.
Ich lerne also, zwischen der Person und ihren Einstellungen und Verhaltensweisen zu unterscheiden. Mein Gegenüber ist ein von Gott geschaffener und geliebter Mensch, auch wenn ich nicht alle seine Überzeugungen teile und sein Verhalten billige.
Und ich lerne weiter: Jesus ruft mich in seine Nachfolge so wie damals Matthäus, und er macht mich zu seinem Schüler, so wie damals die Pharisäer. Meine Überzeugungen und Verhaltensweisen muss und will ich an ihm ausrichten. Ich bleibe ein lernender Mensch. Das Lernen hört nicht auf. Maßstab für das Lernen bleibt dabei Jesus selbst.
Ein Wunsch zum Schluss: Ich wünschte mir, auch ein wenig von diesem Spagat hinzubekommen. Offenheit gegenüber den Menschen, aber auch Klarheit in den Überzeugungen des Glaubens.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinnen in Jesus Christus. Amen